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Frank Decker erhält Otto Kirchheimer-Preis

Festvortrag zur Rolle der Demokratie in Zeiten des Populismus

Professor Dr. Frank Decker ist der Preisträger des Otto Kirchheimer-Preises 2023, der ihm am Donnerstag, 16. November, vom gleichnamigen Förderverein im Rathaus Heilbronn verliehen wurde. Die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung erinnert an den in Heilbronn geborenen deutschen Staatsrechtslehrer und Verfassungswissenschaftler Otto Kirchheimer (1905-1965). Der Preis wurde 2015 vom Ehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese, ehemals Heilbronner Bürgermeister und MdB, ins Leben gerufen und wird alle zwei Jahre in zeitlicher Nähe zum Todestag Kirchheimers im November vergeben.

Der Politikwissenschaftler Frank Decker lehrt an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und ist seit 2011 wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP). Den Otto Kirchheimer-Preis erhält der 59-Jährige für seine herausragenden Verdienste im Bereich der Parteien- und Demokratieforschung. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind insbesondere Rechtspopulismus und Parteiensysteme, Regierungsinstitutionen und Demokratiereform. Seinen Festvortrag widmete Decker dem Thema „Gespaltene Gesellschaft, polarisierte Politik? Wie sich die Demokratie unter dem Druck des Populismus verändert“.

In seiner Laudatio auf den Preisträger würdigte Professor Dr. Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, die wissenschaftliche Schaffenskraft Frank Deckers gepaart mit gesellschaftlicher Verantwortung. Im Zentrum seiner Arbeit stehe „nicht zuletzt der politikwissenschaftlich-intellektuelle Einsatz gegen rechte Ideologie und rechtsradikalen Aktivismus“. Ebenso wie der Namensgeber des Otto Kirchheimer-Preises leiste Decker „einen außerordentlichen Beitrag zur Parteienforschung, aber vor allem auch zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Demokratie, ihrem Wandel und den akuten Bedrohungen gegen sie.“ Damit gebe Decker der Gesellschaft auch Orientierung in schwierigen Zeiten.

Laudator und Preisträger diskutierten nach der Preisverleihung mit dem Politikwissenschaftlerin Professorin Dr. Isabell Borucki von der Universität Marburg über das Thema „Krise der Parteien, Krise der Demokratie?“. Moderiert wurde die Diskussion von Professor Dr. Ulrich von Alemann, Otto Kirchheimer-Preisträger 2015. In seiner Begrüßung dankte Oberbürgermeister Harry Mergel einmal mehr dem Stifterehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese und sprach von einem besonderen Geschenk an die Geburtsstadt Kirchheimers, das die Möglichkeit gebe, an diesen zu erinnern, aber auch einen Beitrag zur Bedeutung der Parteienforschung zu leisten. Stifter Harald Friese betonte, mit dem Preis einen Beitrag zur Weiterentwicklung der von Otto Kirchheimer formulierten wissenschaftlichen Theorien auf der Grundlage empirischer Befunde zum Verhältnis von Sozialordnung, Staatsverfassung und politischer Gewalt innerhalb einer Parteiendemokratie leisten zu wollen. Zudem erinnerte er daran, dass Otto Kirchheimer erst vor wenigen Tagen von der Uni Bonn rehabilitiert und ihm der Doktortitel, der ihm 1939 entzogen worden war, wieder zuerkannt wurde. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von der erst elfjährigen Charlotte Piatschek, Klavierschülerin an der Städtischen Musikschule Heilbronn.

In seinem Festvortrag im Großen Ratssaal im Heilbronner Rathaus ging Decker der Frage nach, wie es zu erklären ist, dass die Zahl der als konsolidiert geltenden Demokratien weltweit seit Mitte der 2000er gemessen am Aufstieg eines aggressiv auftretenden, demokratiefeindlichen Populismus abgenommen habe. Dabei spürte er auch der Frage nach, warum dieser Populismus in unseren Gesellschaften wachsende Unterstützung findet. Als Begründungen sieht Decker insbesondere eine wachsende Verunsicherung seitens der Bürgerschaft ausgelöst durch langfristige Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft sowie durch eine kürzere Abfolge sich verdichtender Krisenereignisse in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Dabei hat er bei den langfristigen Veränderungen insbesondere die beschleunigte Globalisierung seit den 90er Jahren, die zunehmende Dominanz des Marktes gegenüber der Politik, die verstärkten Tendenzen der Individualisierung in einer diverser werdenden Gesellschaft und die Notwendigkeit einer umfassenden ökologischen Transformation der Wirtschaft, bedingt durch den Klimawandel, im Blick. Die Kette der sich verdichtenden Krisenereignisse beginnt bei ihm bei den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 und setzt sich fort über die weltweite Finanzkrise 2007, die Krise der europäischen Währungsunion, die Zuspitzung der Flüchtlingssituation 2015/16 – was der noch jungen AfD zum Durchbruch verhalf –, den Brexit, die Wahl Trumps zum US-Präsidenten bis zur Corona-Pandemie und zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ihren Ausdruck finde die Verunsicherung in einer wachsenden Zukunftsangst und im Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen. Hinzu kämen fundamentale Veränderungen auf Seiten des politischen Systems durch das Aufkommen der sozialen Medien und den durch sie verursachten Wandel der Öffentlichkeit. Nichtsdestotrotz sieht Decker keine generelle Spaltung der Gesellschaft, sondern vielmehr eine Radikalisierung der Ränder. Dazu konstatierte er, „Dass wir hier in den meisten westlichen Demokratien vor allem am rechten Rand inzwischen ein echtes Problem haben, steht außer Frage.“ Er schlussfolgerte, „Verringern lässt sich das populistische Wählerpotenzial nur, wenn es der Politik gelingt, den Bürgern eine überzeugende Erzählung von der künftigen Entwicklung der Gesellschaft zu vermitteln, die vorhandene Ängste abbaut und den beschriebenen Fragmentierungstendenzen entgegentritt.“

Macht der politischen Justiz
beschrieben

Otto Kirchheimer machte sich mit seinen Analysen zum Verhältnis von sozialen Strukturen und Verfassung einen Namen. Die Wechselbeziehung zwischen Sozialordnung, Staatsverfassung und politischer Gewalt, die Dialektik von Macht und Recht, ziehen sich als roter Faden durch sein wissenschaftliches Werk. Er war davon überzeugt, dass Recht nicht nur gesellschaftliche Machtverhältnisse festschreibt, sondern mit der Macht zur Rechtsetzung auch gesellschaftliche Zielsetzungen geändert werden können. Eine seiner Buchpublikationen trägt den Titel „Politische Justiz“. Schon 1965 analysierte Kirchheimer die Transformation des westeuropäischen Parteiensystems. Die Entwicklung von Weltanschauungsparteien auf der Grundlage konfessioneller oder klassenstruktureller Basis hin zu entideologisierenden Parteien, zu sogenannten „Allerweltsparteien“, und den damit verbundenen Verfall der Opposition sagte er vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in den USA voraus. Bereits früh hatte Kirchheimer die Entpolitisierung von Parteien und damit auch der Politik beschrieben. In seinem posthum veröffentlichten Nachwort zum Buch von Lutz Lehmann „Legal & Opportun“ 1966 sprach Otto Kirchheimer bereits vom „Überwachungsstaat“.

Kirchheimers bleibende Verbindungen
mit Heilbronn

Otto Kirchheimer wurde 1905 in Heilbronn geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften emigrierte er als Jude und engagierter demokratischer Sozialist 1933 nach Frankreich. 1937 wanderte er in die USA aus, wo er unter anderem als Professor für Politische Wissenschaften an der Columbia University, New York, lehrte. Er starb im November 1965 und wurde, wie er testamentarisch verfügt hatte, 1966 auf dem jüdischen Friedhof Heilbronn beigesetzt.

Wissenschaftlicher Beirat
schlägt die Preisträger vor

Mit dem alle zwei Jahre verliehenen Preis will der Förderverein Otto Kirchheimer-Preis e.V. zum einen an den bedeutenden Heilbronner Staatsrechtslehrer und Nestor der vergleichenden Parteienforschung erinnern, dessen Analysen auch heute noch wegweisend sind. Zum andern will der Verein renommierte Wissenschaftler mit diesem Preis würdigen, die sich mit ihren Forschungen zu den Fragestellungen Otto Kirchheimers besonders verdient gemacht haben.

Ein wissenschaftlicher Beirat unter dem Vorsitz von Professor Dr. Ulrich von Alemann mit den Mitgliedern Professor Dr. Ralf Kleinfeld, Professor Dr. Reinhard Meyers, Professorin Dr. Ursula Münch, Professorin Dr. Sophie Schönberger und Professor Dr. Christhard Schrenk schlägt die Preisträgerin oder den Preisträger vor.

Nach Professor Dr. Ulrich von Alemann (2015), Professor Dr. Oskar Niedermayer (2017), dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Andreas Voßkuhle (2019), Professor Dr. Elmar Wiesendahl (2021, Verleihung 2022) ist Professor Dr. Frank Decker der Preisträger des Otto Kirchheimer-Preises 2023.

Oberbürgermeister Harry Mergel mit dem Preisträger Professor Frank Decker und dem Stifterehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese.