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Otto Kirchheimer-Preis an Elmar Wiesendahl verliehen

Würdigung durch Prof. Dr. Ursula Münch

Professor Dr. Elmar Wiesendahl ist der Preisträger des Otto Kirchheimer-Preises 2021, der ihm am heutigen Donnerstag, 3. November, vom gleichnamigen Förderverein im Rathaus Heilbronn verliehen wurde. Die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung erinnert an den in Heilbronn geborenen deutschen Staatsrechtslehrer und Verfassungswissenschaftler Otto Kirchheimer (1905-1965). Der Preis wurde 2015 vom Ehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese, ehemals Heilbronner Bürgermeister und MdB, ins Leben gerufen und wird alle zwei Jahre in zeitlicher Nähe zum Todestag Kirchheimers im November vergeben. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Preisverleihung 2021 um ein Jahr verschoben.

Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Wiesendahl lehrte an der Universität der Bundeswehr München und leitete vier Jahr als Direktor den Fachbereich Human- und Sozialwissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Den Otto Kirchheimer-Preis erhält der heute 77-Jährige für seine herausragenden Verdienste um die theoretische und empirische Parteienforschung mit den Schwerpunkten Entwicklung und Wandel der Mitglieder- und Volksparteien sowie Organisationsstruktur von Parteien. 

In ihrer Laudatio auf den Preisträger würdigte Professorin Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Elmar Wiesendahl als „führenden Parteienforscher der Bundesrepublik“, dem auch die internationale Sichtbarkeit der bundesdeutschen Parteienforschung und damit deren Zukunft am Herzen liege. „Theoriebasiert, methodisch versiert, fachlich profund, vergleichend, lesbar“ befasse sich Wiesendahl, Otto Kirchheimer folgend, wissenschaftlich mit den politischen Parteien, ihrer Organisation und ihrem Personal. Die Relevanz dieser Forschungsschwerpunkte ergebe sich aus der Verbindung dieser mit den großen Krisen unserer Zeit. Denn, „ob wir nur mit Sorge oder auch mit Zuversicht in die Zukunft schauen können, hängt nicht zuletzt von der Problemlösungs- und Problembearbeitungsfähigkeit der Parteien und ihres politischen Führungspersonals ab“, so Münch.

Laudatorin und Preisträger diskutierten nach der Preisverleihung mit dem Politikwissenschaftler Professor Dr. Frank Decker von der Universität Bonn über das Thema „Kennen die Parteien ihre Zukunft?“. Moderiert wurde die Diskussion von Professor Dr. Ulrich von Alemann, Otto Kirchheimer-Preisträger 2015. In seiner Begrüßung dankte Oberbürgermeister Harry Mergel einmal mehr dem Stifterehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harld Friese und sprach von einem besonderen Geschenk an die Geburtsstadt Kirchheimers, der die Möglichkeit gebe, an diesen zu erinnern, aber auch einen Beitrag zur Bedeutung der Parteienforschung leiste. Stifter Harald Friese betonte, „Otto Kirchheimer ist und bleibt immer noch aktuell.“ Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Saxophonquartett „Käthchens goldene Vier“ der Städtischen Musikschule Heilbronn unter Leitung von Frank Riedel.

In seinem Festvortrag über „Parteienwettbewerb und Markt“ im Großen Ratssaal im Heilbronner Rathaus setzte sich Wiesendahl damit auseinander, was die von Kirchheimer verwendeten, aber nicht genauer definierten Begriffe „Wettbewerb“ und „Markt“ für Parteien und Wähler bedeuten. Dabei stellte er den Vergleich mit einem Wochenmarkt mit einer Angebots- und Nachfrageseite auf, um schließlich zu schlussfolgern, dass „es sich um einen speziellen Markt handelt, der weder den Austausch von Waren mit Stimmen zuwege bringt noch über einen Preismechanismus zur Angleichung von Angebot und Nachfrage verfügt. Zudem lasse sich das Verhältnis zwischen Parteien und Wählern nicht auf das von Marktteilnehmern reduzieren. Vielmehr hätten Parteien auch eine wichtige Funktion „als Repräsentationsinstanzen von Kollektivinteressen“ und gehe es um einen politischen Vergemeinschaftungsprozess, um Bindungen, um Weltanschaulichkeit, Gesinnung, kollektive Identität und Solidarität, um Solidargemeinschaftliches. Allerdings würde die Hinwendung der Parteien zum Markt bestätigen, wovon Otto Kirchheimer überzeugt war, dass die Solidargemeinschaft zwischen Parteien und ihrer Anhängerschaft durch den Aufstieg der Allerweltsparteien untergraben werden würde. 

Macht der politischen Justiz beschrieben

Otto Kirchheimer machte sich mit seinen Analysen zum Verhältnis von sozialen Strukturen und Verfassung einen Namen. Die Wechselbeziehung zwischen Sozialordnung, Staatsverfassung und politischer Gewalt, also die Dialektik von Macht und Recht, ziehen sich als roter Faden durch sein wissenschaftliches Werk. Er war davon überzeugt, dass Recht nicht nur gesellschaftliche Machtverhältnisse festschreibt, sondern mit der Macht zur Rechtsetzung auch gesellschaftliche Zielsetzungen geändert werden können. Eine seiner wenigen großen Buchpublikationen trägt den Titel „Politische Justiz“.

Veränderungen im westeuropäischen Parteiensystem analysiert

Schon 1965 analysierte Kirchheimer die Transformation des westeuropäischen Parteiensystems. Die Entwicklung von Weltanschauungsparteien auf der Grundlage konfessioneller oder klassenstruktureller Basis hin zu entideologisierenden Parteien, zu sogenannten „Allerweltsparteien“, und den damit verbundenen Verfall der Opposition sagte er vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in den USA voraus. Bereits früh hatte Kirchheimer die Entpolitisierung von Parteien und damit auch der Politik beschrieben. Die seit Jahren sinkenden Mitgliederzahlen der Parteien scheinen Otto Kirchheimers Voraussagen zu bestätigen. In seinem posthum veröffentlichten Nachwort zum Buch von Lutz Lehmann „Legal & Opportun“ 1966 sprach Otto Kirchheimer bereits vom „Überwachungsstaat“. Er nimmt damit nach Ansicht von Harald Friese gedanklich politische Entwicklungen vorweg, die heute wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich diskutiert werden. 

Kirchheimers bleibende Verbindungen mit Heilbronn

Otto Kirchheimer wurde 1905 in Heilbronn geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften emigrierte er als Jude und engagierter demokratischer Sozialist 1933 nach Frankreich. 1937 wanderte er in die USA aus, wo er unter anderem als Professor für Politische Wissenschaften an der Columbia University, New York, lehrte. Er starb im November 1965 auf dem Dulles Airport bei Washington D.C. an einem Herzinfarkt und wurde, wie er testamentarisch verfügt hatte, 1966 auf dem jüdischen Friedhof Heilbronn beigesetzt.

Wissenschaftlicher Beirat schlägt die Preisträger vor

Mit dem alle zwei Jahre verliehenen Preis will der Förderverein Otto Kirchheimer-Preis e.V. zum einen an den bedeutenden Heilbronner Staatsrechtslehrer und Nestor der vergleichenden Parteienforschung erinnern, dessen Analysen auch heute noch wegweisend sind. Zum andern will der Verein renommierte Wissenschaftler mit diesem Preis würdigen, die sich mit ihren Forschungen zu den Fragestellungen Otto Kirchheimers besonders verdient gemacht haben.

Ein wissenschaftlicher Beirat unter dem Vorsitz von Professor Dr. Ulrich von Alemann mit den Mitgliedern Professor Dr. Ralf Kleinfeld, Professor Dr. Reinhard Meyers, Professorin Dr. Ursula Münch, Professorin Dr. Sophie Schönberger und Professor Dr. Christhard Schrenk schlägt die Preisträgerin oder den Preisträger vor. 

Nach Professor Dr. Ulrich von Alemann (2015), Professor Dr. Oskar Niedermayer (2017) und dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Andreas Voßkuhle (2019) ist Professor Dr. Elmar Wiesendahl der Preisträger des Otto Kirchheimer-Preises 2021.

Der Otto Kirchheimer-Preisträger 2021 Professor Elmar Wiesendahl mit dem Stifterehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese. Foto: Stadt Heilbronn

Der Otto Kirchheimer-Preisträger 2021 Professor Elmar Wiesendahl mit dem Stifterehepaar Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese. Foto: Stadt Heilbronn